Liebe Leserin, lieber Leser,
Hallo Epigenetik-Fan,
im Zuge meines beruflichen Schwerpunkts, des Epigenetik-Coachings, begegnen mir immer wieder spannende Aspekte, die es mir ermöglichen, den Horizont des Alterns neu zu definieren und zu erweitern. Ein besonderes Interesse gilt dabei natürlich auch den sogenannten „Blauen Zonen“ – Orten auf dieser Erde, an denen Menschen nicht nur überdurchschnittlich alt werden, sondern dies auch bei guter Gesundheit tun. Warum ich mich als Epigenetik-Coach auch mit Langlebigkeit befasse, welche Blauen Zonen bisher entdeckt wurden und was wir daraus für uns und unser Leben alles lernen können, darum geht es in diesem Blogbeitrag.
Wann gilt man als „alt“?
Obwohl man laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Lebensabschnitt von 76 bis 90 Jahren als „alter Mensch“, von 91 bis 100 Jahren als „sehr alter Mensch“ und als Mensch über 100 Jahren als „Langlebiger“ oder „Zentenar“ bezeichnet wird, ist unsere Wahrnehmung, wer als „alt“ gilt, subjektiv. Sie hängt stark von unserem eigenen Alter und Lebensumständen ab.
Historisch gesehen lässt sich jedenfalls feststellen, dass die Lebenserwartung von uns Menschen die letzten paar Hundert Jahre immer weiter steigt. Das war in unserer Menschheitsgeschichte nicht immer der Fall. Vor nicht allzu langer Zeit, beispielsweise im 15. oder 18. Jahrhundert, war die Lebenserwartung noch dramatisch niedriger, vor allem aufgrund hoher Säuglingssterblichkeit. Das symbolisiert in Abbildung 1 auch die steile Abwärtskurve ganz zu Beginn des Lebensalters. Ebenso überschritt im 15. Jahrhundert die durchschnittliche Lebenserwartung noch selten das 35. Lebensjahr. Erst mit dem 18. und 19. Jahrhundert begann sich dies zu ändern – insbesondere natürlich dank all der Verbesserungen in unserer Nahrungsmittelversorgung, Gesundheitspolitik, Hygiene und medizinischer Versorgung.
Die heutigen Prognosen deuten auch darauf hin, dass der Trend von der stetig steigenden Lebenserwartung auch in der Zukunft weiter anhält. Doch während wir älter werden, stellt sich die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass wir nicht nur länger leben, sondern auch in Gesundheit und mit Lebensqualität? Diese Frage stellen sich natürlich viele Menschen. Und ein guter Ansatz ist sicherlich, sich an denjenigen zu orientieren, die darin bereits erfolgreich waren. Wenn man gesund 100 Jahre und mehr alt werden will, lohnt es sich, einen Blick auf die Zentenaren zu werfen, die dieses Lebensalter bereits erreicht haben – und zwar bei guter Gesundheit. Das sind inzwischen gar nicht so wenige.
Spätestens wenn diese Menschen ihren 100. Geburtstag feiern, können sie sich fast sicher sein, dass sie eine dieser Fragen gestellt bekommen: Wie haben Sie das geschafft? Was ist das Geheimnis Ihres hohen Alters? Was haben Sie getan, um so alt zu werden und dennoch bei guter Gesundheit zu sein? Welche Tipps können Sie anderen Menschen mitgeben, die auch in so einem gesunden Zustand ein hohes Alter erreichen wollen?
Diese und weitere Fragen mögen immer wieder dieselben sein, die Antworten fallen aber in aller Regel unterschiedlich aus. Ein Beispiel für eine beeindruckende Langlebigkeit ist jedenfalls Jeanne Louise Calment, die immer noch als Weltrekordhalterin in Sachen Langlebigkeit gilt. Sie starb im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen. Das spannende an Jeanne Louise Calment ist, dass es ihr bis zum Schluss wirklich gut gegangen ist. Lediglich ein grauer Star und chronischer Husten trübten ihre Lebensfreude etwas. Ansonsten ging es ihr gut. Sie war mental fit. Sie hatte nie Probleme mit Inkontinenz, Schlafen oder irgendwelchen Volkskrankheiten. Was hat sie also beispielsweise auf eine der obigen Fragen geantwortet, was das Geheimnis Ihres hohen Alters sei? Ihr Rezept: Täglich ein Gläschen Portwein trinken, viel Olivenöl verwenden und sich das Rauchen abzugewöhnen. Letzteres gelang ihr selbst erst im stolzen Alter von 117 Jahren.
Mit 117 Jahren starb im Jahr 2017 auch die zu diesem Zeitpunkt älteste Frau der Welt, die Italienerin Emma Morano. Ihr Geheimnis für ein hohes Alter war wiederum, dass sie seit 70 Jahren täglich zwei Eier esse und seit 80 Jahren keinen Mann mehr an sich herangelassen habe.
Diese beiden Beispiele verdeutlichen bereits, dass die Berichte der Zentenaren im Einzelfall äußerst originell sind und sich aus ihnen nicht wirklich allgemeine Empfehlungen zur Lebensverlängerung ableiten lassen. Das heißt, 100-Jährige zu fragen, warum sie so alt geworden sind, bringt häufig dieselben Erkenntnisse wie einen 2-Meter-Mann zu fragen, warum er so groß wurde. Beides ist ihnen einfach passiert.
Die Entdeckung und Erforschung der Blauen Zonen
Wie lassen sich aber sonst wissenschaftliche Erkenntnisse aus ihnen ableiten? Durch Studien mit größeren Fallzahlen! Genau das wusste auch der belgische Epidemiologe Michel Poulain, dessen späte Karriere von einer tiefen Faszination für das Phänomen der Langlebigkeit geprägt wurde. Poulain stellte eine interessante Hypothese auf: Wenn wir Orte auf der Erde finden könnten, an denen viele Menschen signifikant länger leben als anderswo, könnten wir vielleicht die Geheimnisse hinter einer erhöhten Lebenserwartung lüften. Dann ließen sich vielleicht sogar Lebensstile identifizieren, die für eine höhere Lebenserwartung verantwortlich sind.
So kam es, dass sich der Altersforscher Poulain auf die Suche nach Regionen in der Welt machte, wo sich eine auffällig große Anzahl von Menschen schon seit Jahrhunderten gegen die Kräfte der Seneszenz zur Wehr setzten und besonders alt werden. Da auch der Medizinstatistiker Gianni Pes nach Hundertjährigen fahndete und im bergigen Hinterland Sardiniens auf eine Ansammlung von Dörfern stieß, in denen der Anteil an Hundertjährigen etwa zehnmal so hoch ist, wie in den Vereinigten Staaten, führte Poulains Reise zuerst nach Sardinien. Poulain bestätigte Pes Erkenntnisse und sie veröffentlichten ihre Ergebnisse gemeinsam im Journal of Experimental Gerontology. Dies war der Funke, der bald darauf auch das Interesse des ehemaligen Ausdauerradfahrers und Wissenschaftsautors Dan Buettner von National Geographic weckte. Buettner sah Anfang der 2000er-Jahre das Potential in Poulains Arbeit und bot ihm Unterstützung an, um seine Forschungen weiter auszudehnen. Denn er wusste, dass die Ärzte Makoto Suzuki, Bradley Willcox und Craig Willcox in Okinawa, Japan, ebenfalls bereits eine Volksgruppe identifiziert hatten, die anscheinend die langlebigsten Menschen der Weltgeschichte hervorgebracht hat.
Mit logistischer und finanzieller Unterstützung des National Geographic Magazines und einem Zuschuss der National Institutes on Aging identifizierten Poulain und Buettner daher im Laufe der Jahre weitere Regionen mit außergewöhnlicher Langlebigkeit: die schon erwähnte japanische Insel Okinawa, Loma Linda in den USA, Nicoya in Costa Rica und die Insel Ikaria in Griechenland.
Als „Blaue Zonen“ bekannt wurden diese Gebiete übrigens deshalb, weil Poulain die entsprechenden Gebiete auf einer Landkarte immer mit blauer Tinte markierte. Gemeinsam mit Poulain und Pes erweiterte Buettner den Begriff und wandte ihn auf validierte Hotspots der Langlebigkeit an. 2005 veröffentlichte Buettner mit „The Secrets of Long Life“ ein bahnbrechendes Buch, das weltweit für Aufsehen sorgte.
Im Jahr 2009 versuchte Buettner mit verschiedensten Organisationen und Behörden, die Erkenntnisse aus den Blauen Zonen in die Praxis zu übertragen. Die Umsetzung seines Modells in der Stadt Alberta Lea, Minnesota, USA, war schließlich so ein überwältigender Erfolg, dass das sogenannte Blue Zones Project seither auf rund 70 Gemeinden in den Vereinigten Staaten und Millionen von Menschen angewendet wurde. Mit Erfolg, denn die wegweisende Initiative führte zu einem massiven Rückgang von Fettleibigkeit, Zigarettenkosum und einer deutlichen Reduzierung des Body-Mass-Index.
Bevor ich nun allerdings näher auf die spannenden Erkenntnisse eingehe, die Buettner und sein Team aus der Beforschung dieser Regionen ziehen konnte, möchte ich dir natürlich zuerst noch die einzelnen Blauen Zonen selbst genauer vorstellen.
Sardinien: Langlebigkeitsfaktoren und Lebensstil
Begonnen hat Poulain seine Forschung damals wie gesagt mit Gianni Pes in Sardinien. Auf dieser italienischen Insel findet man eine bemerkenswerte Konzentration langlebiger Menschen, von denen man zunächst vermutete, dass die dort lebenden Menschen vielleicht genetische Besonderheiten aufweisen. Tatsächlich stelle man bei vielen eine genetische Mutation fest. Allerdings eine die Schutz vor Malaria bietet und das Thrombose- und Embolierisiko senkt. Die G6PD-Mutation allein erklärt jedoch nicht die hohe Lebenserwartung. Der Lebensstil spielt eine viel entscheidendere Rolle.
Viele sardische Hundertjährige waren und sind teils noch immer als Hirten tätig, ein Beruf, der moderate Bewegung ohne hohen Stress mit sich bringt, was wiederum ein Herzinfarktrisiko senkt. Ernährung spielt ebenfalls eine zentrale Rolle: Der Konsum von Ziegenmilch und Pecorino, reich an Omega-3-Fettsäuren, sowie der typisch mediterrane Speiseplan mit viel Obst und Gemüse und moderatem Fleischkonsum tragen zur Gesundheit bei. Besonders ist auch der Cannonau-Rotwein, reich an gesunden sekundären Pflanzenstoffen.
Wie fast überall in Italien, sind die Familienstrukturen eng. Oft leben mehrere Generationen unter einem Dach, was den Älteren eine kontinuierliche Integration und Interaktion ermöglicht. Psychisches Wohlbefinden wird durch die große familiäre Unterstützung und den Gemeinschaftssinn gestärkt. Die Rolle des Humors und der sozialen Interaktion darf nicht unterschätzt werden; Lachen wird als wichtiger Stressabbau und Konfliktlöser betrachtet. All diese Faktoren zusammengenommen bilden die Grundlage für die Langlebigkeit auf Sardinien, mehr noch als einzelne genetische Eigenschaften.
Okinawa – Spitzenreiter unter den Blauen Zonen
Als der Kardiologe und Gerontologe Makoto Suzuki Mitte der 1970er-Jahre die Living Centenarian Study (heute: Okinawa Centenarian Study) ins Leben rief, begann er rund 1.000 Zentenaren und viele Tausend andere Menschen in deren 70er, 80er und 90er-Jahre zu erforschen. Dabei stellte er fest, dass nirgendwo auf der Welt die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen höher liegt als auf Okinawa, einer im Ostchinesischen Meer gelegenen japanischen Inselgruppe. Von 10.000 Menschen erreichen dort fünf ein Lebensalter von 100 Jahren. Frauen werden auf Okinawa im Schnitt 88 Jahre und Männer 80 Jahre alt. Welche Faktoren führen laut Suzuki und Kolleg:innen zu dieser erstaunlichen Lebensspanne bei guter Gesundheit?
Nun, Okinawa zeigt jedenfalls ganz klar, dass keine spezifischen „Langlebigkeitsgene“ für die außergewöhnliche Langlebigkeit ihrer Bewohnerinnen und Bewohner verantwortlich sind. Stattdessen heben sich Okinawaner durch ihre Ernährung und Lebensweise ab. Sie konsumieren gesundheitsfördernde Lebensmittel wie fermentierte Sojaprodukte, Süßkartoffeln und Bittermelonen sowie Algen und legen Wert auf gemeinschaftliche und familiäre Aktivitäten. Die „Yuinaru“-Mentalität fördert das Gemeinschaftsbewusstsein und die Unterstützung innerhalb der Gemeinschaft. Eine der schönsten Formen dieser Mentalität ist sicherlich die Bildung von sogenannten Moai, bei der sich jeweils fünf Freunde zusammenschließen, die dann ein Leben lang aufeinander Acht geben. Denn in einem Land indem Familien leider immer kleiner werden oder aus anderen Gründen zerfallen, ist es sicher eine sinnvolle Alternative, wenn ein selbstgewählter Freundeskreis an ihre Stelle tritt. Auch die Sprache der alten Bewohner Okinawas ist bezeichnend für die Langlebigkeit der dort lebenden Menschen. So gibt es beispielsweise für den Begriff „Ruhestand“ keine Übersetzung. Jede und jeder arbeitet eben so lange es ihr oder ihm möglich ist – und das ist auf der Inselgruppe wie wir wissen sehr lange. Sie pflegen bis ins hohe Alter einen aktiven Lebensstil.
Schade ist allerdings, dass die zunehmende Fastfood-Kultur der Inselgruppe die Gesundheit der jüngeren Generationen immer mehr bedroht, was möglicherweise bereits das Ende der traditionellen Langlebigkeitskultur in Okinawa einläutet.
Loma Linda – Der Beweis, dass eine gesunde Lebensweise entscheidend ist
Die nächste Blaue Zone unterscheidet sich von den anderen Blauen Zonen vor allem deshalb deutlich, weil es sich dabei um keine historisch gewachsene Volksgemeinschaft handelt, die seit Gedenken eine Lebensweise pflegt in der man auf natürliche Art und Weise gesund alt werden kann. Im Gegenteil: Es handelt sich dabei um eine Gegend mitten in Kalifornien, USA. Und wie wir wissen gilt die Bevölkerung der USA mit ihrer Lebensweise alles andere als gesund.
Warum also gibt es ausgerechnet dort eine Blaue Zone? Weil es der Ort einer protestantischen Freikirche ist, die erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts besteht, weltweit verbreitet ist und großen Wert auf Bibeltreue legt. Loma Linda ist das Zentrum der „Siebenten-Tags-Adventisten“.
Aufgrund der Bibeltreue sind die Heiligung des Sabbats und die Reinheit des Körpers zentral, weshalb Rauchen, Alkohol, Drogen und meistens auch Fleischkonsum vermieden werden. Die Mehrheit der Gemeindemitglieder lebt vegetarisch. Diese Gruppe beteiligt sich aktiv an medizinischen Studien, um die Vorteile ihrer Lebensweise zu beweisen. Beispielsweise war diese Blaue Zone auch maßgeblich an Studien beteiligt, anhand derer gezeigt werden konnte, dass Nichtrauchen Herzinfarkt- und Lungenkrebsraten senkt. Auch viele aktuelle Forschungen bestätigen die positiven Effekte des adventistischen Lebensstils, der eine um Jahre erhöhte Lebenserwartung gegenüber dem amerikanischen Durchschnitt zeigt. Die Ernährung, die sich hauptsächlich auf Pflanzen stützt und Nüsse einschließt, sowie der soziale Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft durch gemeinsames Feiern des Sabbats tragen wesentlich zur Langlebigkeit bei. In dieser Umgebung, die Gesundheit und Gemeinschaft fördert, wird Loma Linda zu einer Art Insel der gesunden Lebensführung in den USA.
Nicoya und Ikaria – weitere Hot-Spots der Langlebigkeit
Die zwei nächsten Blauen Zonen in Nicoya, Costa Rica, und Ikaria, Griechenland, möchte ich nur kurz abhandeln, da ich vieles, was sich dort lebensverlängernd auswirkt, auch bereits in den anderen Blauen Zonen geschildert habe. In Nicoya trägt eine ländliche, arbeitsame Bevölkerung und eine pflanzenbasierte Ernährung, bereichert mit tropischen Früchten und Gemüsen, zur Langlebigkeit bei. Zudem unterstützen ein starker Familiensinn und die typische südamerikanische Lebensfreude das gesunde Altern. Ikaria in Griechenland teilt ähnliche Merkmale mit Nicoya, wobei mediterrane Elemente wie Oliven und Wein hervorstechen. Ikaria bietet zudem mediterrane Geselligkeit und bleibt trotz seiner Schönheit touristisch unberührt.
Singapur – ein Land, das die Lebensqualität seiner Bürger:innen proaktiv verbessert
Obwohl die Obigen fünf auch heute noch als die ursprünglichen Blauen Zonen gelten, so ist in den letzten Jahren dennoch eine weitere Blaue Zone in den Fokus von Dan Buettner und seinem Team gerückt: Singapur, ein kleiner Stadt-Staat auf einer Insel in Südostasien. Warum? Weil es Singapur gelungen ist, die durchschnittliche Lebenserwartung seit 1965 um über 35 Jahre zu steigern und die Lebenserwartung in diesem Stadt-Staat bereits 2019 auf Platz eins aller Nationen dieser Welt gerückt ist. Noch wichtiger zu erwähnen scheint die Tatsache, dass die Singapurer auch bei der Gesundheitserwartung an erster Stelle stehen. Mehr noch, sie haben die weltweit niedrigste kardiovaskuläre Sterblichkeitsrate und das weltweit beste Gesundheitssystem. Dies zeigt sich natürlich auch an der Zahl der 100-Jährigen: Sie hat sich alleine im letzten Jahrzehnt von 700 auf 1.500 mehr als verdoppelt, ebenso die Zahl der 80- und 90-Jährigen. Sprich, Singapur hat etwas getan, das es seiner Bevölkerung einfacher macht gesund zu altern.
Was Singapur getan hat war, einen Healthy Living Masterplan ins Leben zu rufen, der eine Vielzahl kreativer Anstöße zur Verbesserung des täglichen Lebens enthält. Bei der Umsetzung des Plans haben alle zusammengearbeitet: die Regierung, Behörden und die Bevölkerung an sich. Ziel war es, ein gesundes Leben für alle so selbstverständlich und unkompliziert wie nur möglich zu gestalten.
So fördern Regierungsinitiativen beispielsweise sozialen Wohnungsbau, effiziente öffentliche Verkehrsmittel und Hawker-Zentren, die gesunde, günstige Mahlzeiten anbieten. Große Supermärkte kennzeichnen Lebensmittel mit einem speziellen „Healthy Choice“-Logo und bieten sie zu ermäßigten Preisen an. Es gibt eine landesweite Anti-Raucher-Kampagne, Mobilitätsanwendungen, die über Spiele und Prämien ihre Nutzerinnen und Nutzer motivieren will, sich für Gesundheitsprogramme anzumelden, freiwillige Gesundheitsbotschafter:innen aus allen sozialen Schichten, nationale Wettbewerbe zur Gewichtsabnahme durch eine gesunde Lebensweise, diverse Selbsthilfegruppen, uvm.
Alle diese Maßnahmen fördern das soziale Miteinander und eine aktive Lebensweise. Zudem unterstützen diese Programme das Zusammenleben von Generationen, was die Gesundheit älterer Bürgerinnen und Bürger verbessert und Einsamkeit reduziert.
Nachdem wir uns nun die Orte angesehen haben, an denen die Menschen am längsten leben, wäre es natürlich interessant, ob sich hieraus vielleicht Gemeinsamkeiten in der Lebensweise der Zentenaren ableiten lassen, die ihre Langlebigkeit begünstigen. Genau das war auch die ursprüngliche Idee, die Dan Buettner mit den Blauen Zonen verfolgte. Er wusste über die unzähligen Forschungen Bescheid, wonach unsere Gene nur zu etwa 20, höchstens 30 Prozent für unseren Alterungsprozess verantwortlich sind, und wollte so etwas wie eine Formel für Langlebigkeit finden.
Die Gemeinsamkeiten der Blauen Zonen
Obwohl auch die Faktoren, die Buettner und sein Team in den Blauen Zonen ermittelt hat, keine kausalen Aussagen zulassen und sie keine einheitliche Formel für Langlebigkeit darstellen, so finden sich durch die Arbeiten von Poulain, Pes und vielen anderen Alternsforscherinnen und -forschern dennoch bemerkenswert übereinstimmende Muster in allen Blauen Zonen vor. Besonders bemerkenswert ist die Korrelation dieser Faktoren insbesondere auch deshalb, weil sie unabhängig voneinander in fünf sehr verschiedenen Kulturen und auf vier Kontinenten auftreten.
Welche evidenzbasierten Gemeinsamkeiten lassen sich also aus diesen bemerkenswerten Orte ableiten? Dan Buettner hat sie in der Netflix-Verfilmung seiner Bücher „Wie wird man 100 Jahre alt? Die Geheimnisse der Blauen Zonen“ wie in Abbildung 2 zusammengefasst.
Möchte man die 12 Merkmale nochmals auf 9 subsumieren könnte man sie wie folgt zusammenfassen:
Natürliche Bewegung: In den weltweiten Blauen Zonen betreiben die Langlebigkeits-Champions weder gezieltes Krafttraining noch laufen sie Marathons oder gehen ins Fitnessstudio. Stattdessen regt ihre alltägliche Umgebung sie ständig zu natürlicher Bewegung an, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Etwa alle zehn bis fünfzehn Minuten sind sie körperlich aktiv – sei es durch Gartenarbeit, Kochen, Putzen oder Gehen. Diese natürliche Integration körperlicher Aktivität, wie das manuelle Mahlen von Mais durch Frauen in Nicoya oder das traditionelle Sitzen am Boden in Okinawa, trägt maßgeblich zu ihrer Gesundheit und Langlebigkeit bei.
Zielbewusstes Leben: Bewohner der Blauen Zonen wachen nicht mit dem Gefühl auf, nutzlos zu sein. Sie engagieren sich für ihre Familie, halten sich geistig fit und pflegen tägliche Rituale, um Stress abzubauen. Forschungen legen nahe, dass ein stark ausgeprägtes Zielbewusstsein oder ‚Ikigai‘, wie es in Okinawa genannt wird, das Risiko für Alzheimer, Arthritis und Schlaganfälle senkt. Eine von den National Institutes of Health finanzierte Studie ergab, dass gesunde Menschen zwischen 65 und 92 Jahren, die klare Ziele und Aufgaben hatten, bis zu sieben Jahre länger lebten als diejenigen ohne.
Abschalten zum Stressabbau: Obwohl auch Menschen in den Blauen Zonen Stress erfahren, haben sie im Gegensatz zu uns Praktiken entwickelt, diesen Stress abzubauen. Von der täglichen Erinnerung an ihre Vorfahren in Okinawa über das Gebet bei den Adventisten bis hin zu Nickerchen auf Ikaria und der Happy Hour auf Sardinien – sie alle haben ihre eigenen Wege gefunden, mit Stress umzugehen.
Weises Essen mit der 80-Prozent-Regel: In Okinawa wird zu Beginn einer Mahlzeit oft der Ausdruck ‚Hara hachi bu‘ gesagt, was so viel bedeutet wie ‚Iss, bis du zu 80 Prozent satt bist‘. Die Idee dahinter ist, den Magen nicht vollständig zu füllen, was den Stoffwechsel verlangsamt und die Produktion von schädlichen Oxidantien reduziert. Generell ist dir wahrscheinlich beim Lesen des Blogartikels schon aufgefallen, dass es sich bei den Blauen Zonen eher um naturnahe und ärmere Regionen handelt. Das heißt, die Menschen in den Blauen Zonen sind es im Gegensatz zur heutigen westlichen Lebensweise in Bezug auf Ernährung gewohnt, ihre Mägen nicht bis zum Anschlag zu füllen.
Besser vegetarisch essen: Bis ins späte 20. Jahrhundert bestand die Ernährung in den Blauen Zonen fast ausschließlich aus pflanzlichen Produkten. Fleisch wurde sparsam verzehrt. Die Basis der Ernährung bildeten Bohnen, Linsen und andere Hülsenfrüchte – und das tut sie Großteils auch heute noch.
Mäßiger Alkoholkonsum: Bis auf die Adventisten trinken Menschen in den Blauen Zonen regelmäßig und in Maßen Alkohol. Maßvoller Konsum kann die Lebensdauer verlängern, wobei der Schlüssel in der Regelmäßigkeit und im Maßhalten liegt. Dieses Muster sollte also definitiv nicht dazu animieren, zur Alkoholikerin oder zum Alkoholiker zu werden.
Zugehörigkeit: Nahezu alle gesunden Hundertjährigen gehören einer Glaubensgemeinschaft an. Der regelmäßige Gottesdienstbesuch kann die Lebenserwartung um bis zu 14 Jahre erhöhen. Ich persönlich vermute, dass der wahre Grund für die längere Lebenserwartung aufgrund einer Glaubensgemeinschaft wahrscheinlich darin zu finden ist, weil diese Zugehörigkeit andere Faktoren wie den Daseinszweck, das Beisammensein mit Gleichgesinnten und eine allgemein positive Lebenseinstellung begünstigen.
Die Lieben zuerst: In den Blauen Zonen hat die Familie oberste Priorität. Dies beeinflusst sowohl die Krankheitsraten als auch die Lebenserwartung positiv.
Die richtigen Leute: Die Bildung eines sozialen Netzwerks, das gesunde Verhaltensweisen fördert, ist wesentlich für die Langlebigkeit. Freunde können erheblichen Einfluss auf die Lebensweise haben, was die soziale Konnektivität zu einem Schlüsselfaktor für langfristige Gesundheit macht.
Streben wir ein möglichst langes Leben bei bester Gesundheit an, so lohnt es sich daher sicher, wenn wir uns bei der Gestaltung des eigenen Lebens an diesen Lebensstilmerkmalen der Blauen Zonen orientieren und unseren Alltag so gestalten, dass uns ein langes Leben ebenfalls einfach so passiert.
Longevity und Epigenetik
Nachdem ich dir nun viel über die Blauen Zonen und die Geheimnisse der 100-Jährigen erzählt habe, bleibt nun noch meine Antwort auf die Frage offen, warum ich mich als Epigenetik-Coach eigentlich auch mit der Alterns- und Langlebigkeitsforschung befasse. Nun, wie ich weiter oben bereits erwähnt habe sind unsere Gene nur zu etwa 20 bis 30 Prozent für unseren Alterungsprozess verantwortlich. Den Rest beeinflusst unser Lebensstil und diverse Umwelteinflüsse. Dieses Wissen eröffnet uns also eine bedeutende Chance: Wenn wir unsere Lebensführung gesund gestalten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich dadurch unsere Lebens- und Gesundheitspanne erhöht, signifikant an. Das heißt, wir selbst haben es zum Großteil in der Hand, wie alt wir werden und wie unser Leben im Alter aussieht. Es wird diesbezüglich einen gewaltigen Unterschied ausmachen, ob wir täglich auf der Couch 10 Folgen einer Serie schauen und Chips dabei essen oder ob wir jeden Tag 10.000 Schritte gehen. Es wird einen Unterschied ausmachen, ob wir jeden Tag ohne Pause bis zum Umfallen arbeiten oder ob wir uns auch Auszeiten nehmen und gut und ausreichend schlafen. Und unser Alterungsprozess wird sicher anders aussehen, wenn wir uns täglich mit uns selbst über Gott und die Welt ärgern anstatt ein gutes Stressmanagement zu betreiben und unsere Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen.
Epigenetik-Coaching mit Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den Blauen Zonen
In meinem Epigenetik-Coaching(-Programm) geht es daher insbesondere auch wegen unseres Alterungsprozesses darum, die Menschen darüber zu informieren, welche Lebensweisen sich wie auf ihren Körper auswirken und sie dabei zu unterstützen, gesündere Gewohnheiten aufzubauen. Dafür sind Einsichten aus den Blauen Zonen besonders wertvoll, da sie uns konkrete Beispiele für lebensverlängernde Praktiken liefern. In meinem Coaching-Programm strebe ich daher danach, nicht nur ein Verständnis für molekularbiologische Prozesse zu vermitteln, die in unserem Körper beim Altern und in vielen anderen Situationen ablaufen, sondern auch praktische Tools anzubieten, mit denen Teilnehmende ihre Gesundheits- und Lebensspanne aktiv und positiv beeinflussen können.
Fazit
Die Erkenntnisse aus den Blauen Zonen bieten uns wertvolle Anregungen für ein langes und gesundes Leben. Sie betonen die Bedeutung, nicht nur die Anzahl unserer Lebensjahre zu erhöhen, sondern auch deren Qualität. Durch die Anwendung der Prinzipien aus den Blauen Zonen können wir nicht nur Aussicht auf ein längeres, sondern vor allem auf ein zufriedeneres und reichhaltigeres Leben haben.
Quellen:
Buettner, D. (2023). Das Geheimnis der 100-Jährigen: Entdeckungsreise in die Blue Zones der Welt. 1. Auflage. München: National Geographic Deutschland.
Kleine-Gunk, B. (2022). Jung bleiben ist Kopfsache: Erstaunliche Fakten aus der Altersforschung. München: GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH.
Leibniz-Institut für Altersforschung (2015). Healthy Ageing – Forschung aus erster Hand. Magazin des Leibniz-Forschungsverbandes Healthy Ageing. Jena: Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut. Online im Internet. URL: <https://www.leibniz-fli.de/fileadmin/media/downloads/leibniz_Broschuere_GesundesAltern_deutsch.pdf>; Stand: 08.03.2024.